Rover on tour

Logbuch


Tonnerre

Die Kleinstadt Tonnerre ist bedrückend. Sie ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie zahlreiche französische Dörfer und Städte innerlich zerfallen. Streckenweise hat man den Eindruck, dass ganze Straßenzüge irgendwann im Spätmittelalter, spätestens aber nach der Französischen Revolution, aufgegeben und verlassen wurden. Architektur aus mehreren Jahrhunderten zerfällt ungebremst. Klar, das Geld fehlt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Trotzdem tut es weh. Man atmet Geschichte auf Schritt und Tritt. Wir besichtigen mehrere uralte Gemäuer, von denen Burgund so viel hat. Die letzten paar Tage haben wir nur Halbtagestouren gemacht, um mal was anderes als Kanal zu sehen. In zwei Tagen wollen wir das Ende des Canal de Bourgogne ereicht haben (kurz vor dem drohenden Kanalkoller) und kommen wieder in mehr oder weniger frei fließende Flüsse: zunächst die Yonne, dann die Seine. Unser Schleusenzähler steht bei 169.

(Anm. d. Red.: Positionsangaben werden hoffentlich wieder angezeigt…)

Hier kommt ein Gerät, das die Unterwasserpflanzen im Kanal mähen und abtransportieren soll, damit nicht Filter und Propeller ständig gereinigt werden müssen. Angeblich braucht er vier Monate für den gesamten Canal de Bourgogne.


Ravières

Ein Wort zu den angezeigten Positionen: Scheint zurzeit nicht aktualisiert zu werden, obwohl ich entsprechende Bestätigungen erhalte. Kann ich also nichts für! Wer’s wissen will, wir sind hier: 47°50,78’N, 004°04,85’E

So eng geht’s nicht immer zu:


Montbard

In Riesenschritten stürzen wir uns wieder bergab. Gestern hatten wir auf 11 km 29 Schleusen  à 2,60 m. Der Wasserstand ist leider notorisch tief und ab und zu schlürfen wir mit der Bodenplatte über Geröll und wirbeln Unmengen Schlick auf. Der Wasserfilter muss jeden Tag kontrolliert werden, Schlingpflanzen wickeln sich um den Propeller. Aber es geht weiter. Wir beschäftigen jede Menge Mitarbeiter der Kanalgesellschaft VNF, da alle Schleusen von Personal bedient werden. Teilweise fahren sie fünf, sechs – in Ausnahmefällen auch mal 29 – Schleusen weit auf ihrem Mopped neben dem Kanal mit. Durch den Tunnel fahren nur wenig Boote. In der letzten Woche haben wir höchstens eine Handvoll getroffen. Erst seit gestern (in Venarey) wird es wieder belebter. Heute abend liegen wir zwischen einem Amerikaner und einem Australier.


Pouilly und der Tunnel

DSCI0464

Der Gipfel ist bezwungen! Wir sind über den Berg! Alles gut, hier ein paar Bilder – Text folgt.

Später (aus der Internet-Diaspora):

Der Tunnel war lang. Sehr lang. Genau gesagt 3,34 Kilometer. Und ging die ganze Zeit schnurgeradeaus. Also fuhr man die ganze Zeit auf einen langsam größer werdenden Lichtpunkt zu. Die ersten paar hundert Meter waren noch beleuchtet, danach durchdrangen nur unsere Bugscheinwerfer das Dunkel. Wir haben für den Tunnel eine Stunde benötigt, hochkonzentriert, um nicht mit Mast oder Geräteträger anzuecken. Danach haben wir uns für den Rest des Tages frei genommen. Bis 1987 wurden die Boote hier von einem elektrischen Schlepper durchgezogen, der sich an einer auf dem Boden liegenden Kette vorwärtszog.


Vandenesse en Auxois

Langsam arbeiten wir uns weiter und vor allem höher: heute abend sind wir ca. 20 Meter (8 Schleusen) unter dem „Gipfel“, der so bei 380 oder 400 m liegen soll. Wohl der höchste Punkt Frankreichs, den man per Boot erreichen kann. Unser Barometer spürt es auch und ist auf sagenhafte 964 hPa abgesunken! Die Landschaft Burgunds tut der Seele gut: sanfte Hügel, grüne und bunte Wiesen, alte Häuschen aus Natursteinen, uralte Kirchen und Schlösser. Fast könnte man an eine heile Welt glauben. Doch schon einen Tag hinter Dijon holt uns die Wirklichkeit ein: Die Schleusenwärter streiken schon wieder. Sie werden schon ihre Gründe haben und wir sind für den Ruhetag in Fleurey auch nicht böse. Das Management der Kanalverwaltung (VNF: Voies Navigables de France) ist zurzeit ein bisschen konfus, da es – wie in allen Unternehmen – nur noch um Sparen geht. Leider scheint man auch am Wasser im Kanal zu sparen: schon länger fiel uns der extrem niedrige Wasserstand auf (es fehlten bis zu 50 cm), aber heute mittag hörte der Spaß auf. Mit einem häßlichen Knirschen schleift unsere Bodenplatte über Geröll, wir werden langsamer und langsamer. Schließlich hilft auch Gasgeben nichts mehr: Wir sitzen mitten im Kanal, 100 Meter vor einer Schleuse, endgültig fest! Die Schleusenwärter beobachten uns eine Weile, um dann die Ventile aufzudrehen und Wasser in den unteren Kanalabschnitt zu leiten. Nach einer Viertelstunde gehts knirschend und rumpelnd weiter und wir erreichen die Schleuse. Im nächsten Abschnitt haben wir dann wieder 1 Meter Wasser unter uns… Ein paar Schleusen weiter – das Adrenalin war gerade wieder abgebaut – springt der Motor nicht mehr an, als wir aus der Schleuse rausfahren wollen. Spontane Fehlersuche erfolglos, also werden wir manuell aus der Schleuse gezogen und machen dahinter im Schilf fest. Es kommt kein Diesel an die Einspritzdüsen. Nach dem Öffnen der Einspritzleitungen und Entlüften (kein Diesel), dem Austausch der Filter (sauber) und dem Peilen des Dieseltanks (480 Liter) fällt mein Blick zufällig auf den Stopzug zum Abstellen des Motors — richtig: ich hatte nach dem letzten Abstellen vergessen, den Zug wieder reinzuschieben! Megapeinlich – nicht weitersagen!! So haben wir also unseren Spaß. Unser Schleusenhandling wird immer perfekter. Wenn wir beim Anlegen am Ufer nicht ganz rankommen (zu wenig Wasser), lassen wir einfach unseren Zentralanker runter (den schweren Schwenkkiel) und schon liegen wir bombenfest. Die Tage des Segelbootes ROVER mit Schaukeln und Schräglage scheinen unendlich weit weg. Heute hat Margrit einen Blumenpott gekauft und im Cockpit plaziert: damit mutiert Rover endgültig zum Kanaldampfer!